In kaum einem anderen Bereich gibt es so viele unterschiedliche „Erziehungsstile“ und Trainingsansätze zeitgleich wie im Hundetraining. Gerne vergleiche ich diese mit der Erziehung von Kindern. Auch in diesem Bereich gab es über die Geschichte verteilt unterschiedliche Ansätze und Haltungen, wie man ein Kind am besten erziehen sollte. Diese sind der Erziehung des Hundes sehr ähnlich.
An dieser Stelle werden viele aufschreien: „Man kann den Hund und seine Erziehung nicht mit der Kindererziehung vergleichen. Hunde sind keine Menschen.“ Ja, das stimmt. Aber der Besitzer, der den Hund erzieht, ist einer. Und wir können bekanntlich nicht aus unserer Haut. Lernen und Erziehung laufen in ihren Grundsätzen sehr ähnlich ab – wenn nicht sogar identisch. Zumindest was die Grundlagen von Lernverhalten angeht, die sind gleich, egal ob Mensch oder Hund. Während sich die Erziehung von Kindern allerdings im Laufe der Jahre mit der Wissenschaft und einer wohlwollenden Einstellung gewandelt hat, ist beim Training des Hundes in vielen Bereichen scheinbar die Welt stehen geblieben.
Ich komme ursprünglich aus der Sozialpädagogik und in gut zehn Jahren Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien habe ich bereits einiges gesehen und erlebt, genauso in meiner Zeit als Hundetrainerin. Ich maße mir an zu sagen, beides ist in seiner Grundsubstanz sehr ähnlich, insbesondere was die innere Haltung angeht.[1] Haltung meint in diesem Fall die Einstellung als Trainierender/Erziehender/Sozialpädagoge gegenüber dem Hund/Kind/Klienten und meine Beziehungsgestaltung zu diesem. Fühle ich mich ihm überlegen, will ich, dass derjenige gehorcht ohne Wenn und Aber? Bin ich wertschätzend? In diesem Kontext spielen auch Macht und der Machtgedanke eine große Rolle, aber dazu später mehr.
Im Bereich der Sozialen Arbeit, aber auch bei der Erziehung von Kindern, hat das Wort Haltung mittlerweile eine größere Beachtung gefunden und es wird immer wieder versucht dies mit Leben zu füllen. Im Bereich des Hundetrainings findet dies allerdings nach wie vor nur sehr wenig Beachtung. Obwohl durch Forschung und Weiterentwicklung des Wissens über das Lernverhalten des Hundes mittlerweile Vieles bekannt ist, ist die Idee, den Hund durch Gewalt und Druck gefügig zu machen, leider noch immer allgegenwärtig. Weit verbreitet ist der Gedanke, dass ein Hund funktionieren muss, weil ich als Mensch es sage. Und wenn der Hund nicht so funktioniert, wie ich es möchte, gibt es Ärger und er wird bestraft.
Wenn wir die ethische Seite und den Tierschutzgedanken beiseitelassen und uns das Ganze mal fernab von jeglichen Emotionen anschauen, was bleibt dann? Die innere Haltung bleibt. Lernverhalten bleibt. Jede Art von Hundetraining funktioniert auf ihre Art und Weise. Ich kann einen Hund (wie früher fast ausschließlich) über Strafen und Gewalt ausbilden. Und auch wenn wir es uns schönreden wollen, Leinenrucken, den Hund runterdrücken, laut werden, Stachelhalsband, Würgehalsbänder, Erziehungsgeschirre und andere Instrumente sind Strafmittel und ein Stück weit auch Gewalt. Es funktioniert – keine Frage. Unsere Urgroßeltern und Großeltern (und vielleicht auch noch Eltern) sind teilweise mit Gewalt erzogen worden und es hat funktioniert[2]. Aber was war der Preis? Was ist der Preis, wenn ich meinen Hund über Gewalt und Druck ausbilde?
Davon abgesehen, dass es langfristig effektivere Methoden gibt, um zu lernen, sagt die gewählte „Erziehungsmethode“ viel über mich als Mensch aus und wie ich meine Beziehung zu meinem Hund gestalten will. Möchte ich eine Maschine, die gehorcht oder strebe ich nach einer vertrauensvollen Beziehung zu meinem Vierbeiner? Wenn wir in uns reinhören, sollte klar sein, dass Vertrauen niemals durch Druck und Gewalt entstehen kann. Und hier sind wir genau am Kernpunkt. Wie ist meine Haltung meinem Hund gegenüber? Natürlich stelle ich außer Frage, dass Hunde in unserem Alltag kontrollierbar sein müssen, um andere weder zu gefährden noch zu belästigen. Die Frage ist vielmehr, wie komme ich zu diesem Ergebnis und wie stehe ich zu meinem mir anvertrauten Vierbeiner?
Hunde sind, ähnlich wie wir Menschen, fühlende Lebewesen. Sie können Angst haben, Stress empfinden oder sich freuen (und natürlich gibt es noch viele weitere Emotionen). Der Organismus reagiert in diesen Fällen identisch wie der des Menschen. Es laufen dieselben neurobiologischen Prozesse bei Stress, Angst oder Freude ab, wie bei uns. Hunde tun, ähnlich wie wir, genau das, was sich für sie lohnt beziehungsweise was funktional ist. Wer an dieser Stelle denkt: „Aber Menschen tun häufig genau das Gegenteil“, den muss ich enttäuschen Zum Beispiel ist selbstverletzendes Verhalten beim Menschen häufig eine Strategie, um mit Stress, Trauma oder einer inneren Imbalance umzugehen. Menschen, die sich aufopfernd um andere kümmern, ziehen daraus ihren Nutzen. Genauso ist es bei Hunden. Ihr Verhalten lohnt sich in irgendeiner Weise für sie. Auch für den Hund, der an der Leine pöbelt oder zerrt. Für ihn ist es vielleicht der einzige erlernte Weg um mit Stress oder Angst umzugehen. Fakt ist, jedes Verhalten ist für den Ausführenden erstmal funktional. Und hier sind wir wieder bei der inneren Haltung. Unterstelle ich meinem Hund, dass er Dinge tut, um mich zu ärgern oder erkenne ich sein Verhalten als Versuch an, mit einem Problem umzugehen? Ich denke, der Mensch ist das einzige Lebewesen auf der Welt, das das Verhalten anderer in vielen Fällen auf sich selbst bezieht. Dabei ist das in den meisten Fällen gar nicht so. Der Hund zieht nicht, weil er uns ärgern will. Er zieht weil er es nicht anders gelernt hat.[3]
Und da schließt sich der nächste Punkt an: Suche ich die Fehler bei meinem Gegenüber oder bei mir? Anstatt mich über den Hund zu ärgern, dass er an der Leine zieht, könnte ich mich auch fragen, ob ich es ihm überhaupt richtig beigebracht habe. In etwa 99% der Fälle nämlich nicht. Das zu hinterfragen, gelingt mir aber nur, wenn ich eine Haltung habe, die nicht durch Machtdenken geprägt ist. Das spielt übrigens in der Kindererziehung, aber auch in der Arbeitswelt eine große Rolle. Wer hat das Sagen? Wem bin ich überlegen? Wer hat zu gehorchen? Macht bedeutet in diesem Kontext, sich überlegen fühlen, zu meinen es besser zu wissen und mein Gegenüber herunter zu setzen.[4] Die Kehrseite der Macht ist es, sich ohnmächtig zu fühlen. Wer dieses Gefühl schon einmal hatte, weiß wie schlecht es auszuhalten ist. Der Mensch versucht alles, um sich nicht ohnmächtig zu fühlen – der Hund übrigens auch. Nicht mehr handlungsfähig zu sein bedeutet schlimmstenfalls, nicht zu überleben. Zumindest ist dies im Gehirn so angelegt. Dies versucht man dann häufig mit Macht und Kontrolle zu kompensieren. So auch im Hundetraining und in der Erziehung von Kindern. Neben dem Versuch der Machtlosigkeit zu entgehen, spielt aber auch hier wieder die Haltung eine Rolle. Versuche ich das Verhalten meines Gegenübers zu verstehen oder empfinde ich es als Angriff auf mich? Wenn wir uns und unser Ego mal ganz beiseitelassen, sollte schnell klar werden, dass es nicht darum geht, wer mächtiger ist. Vielmehr sollte ich mich fragen, was für ein Besitzer ich für das mir anvertraute Lebewesen sein möchte.
Wer sich nach wie vor schwer tut die Erziehung von Hunden in der Grundsubstanz mit der Erziehung von Kindern zu vergleichen, für den ist vielleicht ein anderes Beispiel nachvollziehbarer. Immer wieder stoße ich im Bereich des Hundetrainings auf den Aspekt, dass der Mensch der „Rudelführer“ und Chef sein muss. Mal davon ab, dass jeder Hund weiß, dass der Mensch kein Hund ist, sind wir hier auch wieder bei dem Machtgedanken. Nicht falsch verstehen. Natürlich ist der Mensch verantwortlich für den Hund und muss Regeln und Grenzen vorgeben und darauf achten, dass diese eingehalten werden. Die Frage nach dem „Wie“ ist hier elementar. Wenn wir bei dem Gedanken bleiben, dass der Mensch der Chef sein soll, sollten wir uns persönlich mal überlegen, welche Art von Chef wir sein wollen. Denken wir mal an unsere Arbeitswelt. In seinem Leben hatte jeder eine/n Chef/in oder Lehrer/in, zumindest irgendjemanden, der ihm „vorgesetzt“ war. Für welchen Typ Chef arbeiten wir gerne, in welchem Arbeitsklima fühlen wir uns wohl, wen respektieren wir? Den Chef, der cholerisch rumschreit, uns bei jedem Fehler abstraft und nur auf diese schaut, ohne uns zu erklären wie wir es besser machen können? Oder bevorzugen wir den Chef, der zwar eine klare Richtung vorgibt, uns diese aber erklärt, uns motiviert, lobt und nicht herabsetzt, sondern wohlwollend Vertrauen in uns setzt? Ich weiß, welchen Typ Chef ich bevorzugen würde. Respekt bekommt man nicht, weil man sich durchsetzt, Respekt verdient man sich durch respektvollen Umgang. So ist es auch beim Hund. Angst und Druck sind schon immer ein schlechter Lehrmeister gewesen und funktionieren nur so lange, wie sie aufrechterhalten werden können.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die innere Haltung meinem Hund gegenüber und auch meine Einstellung zum Training letztendlich ein Spiegel meiner Selbst sind. Und so stellt sich die elementare Frage: Wie will ich als Mensch sein?
Abschließend möchte ich die wichtigsten Fragen zum Thema Haltung noch einmal bündeln:
- Wie sehe ich meinen Hund? (Untergebener, Maschine, Familienmitglied, „Partner“ etc.)
- Durch was soll die Beziehung mit meinem Hund geprägt sein? (Vertrauen, Angst, Stress, Harmonie etc.)
- Wie wichtig ist mir Macht in der Beziehungsgestaltung?
- Wie empfinde ich das Verhalten meines Hundes? (Auf mich bezogen, unabhängig etc.)
- Bin ich bereit auf meinen Hund einzugehen und ihn zu verstehen?
- Bin ich bereit mich selbst zu hinterfragen und mein Verhalten kritisch zu reflektieren? (Keine Schuldfrage)
- Was für ein Chef möchte ich für meinen Hund sein?
Dabei sollte klar sein, dass dies nur ein kleiner Teil von möglichen Fragestellungen ist, die in diesem Kontext gestellt werden können. Das Thema Haltung ist natürlich weitaus vielfältiger und umfassender, als es hier möglich ist darzustellen. Doch jede Reise beginnt bekanntlich mit dem ersten Schritt.
Abschließen möchte ich mit zwei Zitaten von Antoine de Saint-Exupéry aus dem kleinen Prinzen:
- „Du bist ewig für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“
- „Es ist viel schwerer, über sich selbst zu richten, als über andere zu urteilen. Wenn du es schaffst, selbst über dich gerecht zu werden, dann bist du ein wahrer Weiser.“
[1] Anmerkung: Einiges an Hirnforschung im Bereich Lernverhalten, Vorgänge im Gehirn etc. wurde stellvertretend für den Menschen am Hund erforscht. Also kann man dies mühelos auch anders herum übertragen.
[2] Funktioniert meint in diesem Sinne, dass die „Verhaltensänderungen“ oder Ziele der Eltern erreicht wurden. Was allerdings Gewalt in der Kindererziehung für negative Auswirkungen hat ist mittlerweile bekannt.
[3] Es gibt natürlich auch noch andere Ursachen
[4] Es geht wieder um Haltung und die Sichtweise. Nicht ob man tatsächlich etwas besser weiß, sondern nur, wie man sich seinem Gegenüber verhält.