Wir sind wieder unterwegs im Feld mit unserem eigenen Hund Hasso. Hasso läuft frei und schnuppert mal hier und mal da am Wegesrand. Die Sonne scheint am blauen Himmel und die Bienen surren von Blüte zu Blüte. Natürlich begegnen uns immer wieder Spaziergänger, Fahrradfahrer oder auch mal andere Hunde – alles kein Thema. Sehe ich, dass sich uns jemand nähert, rufe ich Hasso zu mir und leine ihn an, das gehört sich nämlich so. Am Horizont erscheint ein fremder Hund, scheinbar ein mittelgroßer Mischling in blond mit langem zauseligem Fell.
Hasso hebt den Kopf und erblickt den fremden Hund, ich rufe ihn und langsam trottet er auf mich zu, klick, Leine dran. Der fremde Hund scheint uns auch bemerkt zu haben und setzt sich langsam in Bewegung. „Rocky“ höre ich es rufen, doch Rocky scheint nicht zu wissen, dass er so heißt – oder es ist ihm schlichtweg egal, dass er gerufen wird. Am Horizont erscheint sein Frauchen in knallgelber Windjacke in aller Seelenruhe. „Rocky, hier her!“ ruft sie. Keine Reaktion. Rocky scheint andere Interessen zu verfolgen. Immer schneller kommt er auf uns zu gerannt. Hasso schaut mich fragen an, ich schüttle mit dem Kopf, wohlwissend was gleich kommen wird.
„Der tut nix, der will nur mal Hallo sagen“ ruft Rockys Frauchen beschwichtigend mir zu. Da war er. Der Satz auf den ich gewartet habe. Ihn hört man immer wieder in den verschiedensten Variationen. Entweder will Hund nur mal gucken oder spielen oder weiß der Henker was er will. Auf jeden Fall will er nicht hören und Frauchen oder Herrchen haben es nicht geschafft Hund unter Kontrolle zu behalten. Rocky ist mittlerweile näher gekommen. Ich leine Hasso für den Fall der Fälle ab, damit er mehr Bewegungsspielraum hat. Weiterhin bewaffne ich mich mit einer Wurfkette, auch für den Fall der Fälle. Rocky baut sich auf und stolziert immer weiter auf uns zu – klar, nur mal Hallo sagen. Ich glaube genau DAS hat Rocky nämlich nicht vor. Bürste gestellt, Rute nach oben und ziemlich stacksig kommt er immer näher. Ich stelle mich vor Hasso und werfe Rocky die Wurfkette vor die Füße „mach dich ab!“ drohe ich, aber Rocky interessiert das mal so ganz und gar nicht. Scheinbar ist er Kummer gewohnt und weiß sehr genau was er will.
Hasso ist zum Glück in solchen Situationen meist sehr souverän und will keinen Stress. Rocky scheinbar aber schon. Zumindest will er abchecken, wer hier frecherweise durch sein Revier stolziert und es sich wagt nicht bodenkriechend um Erlaubnis zu fragen. Begegnung beider Hund. Ein kurzes Umkreisen und Schnuppern, Scharren auf dem Boden und dann erstmal an den nächsten Grasbüschel zum Wettpinkeln – Rüden untereinander. Derweil kommt Rockys Frauchen in scheinbarer Zeitlupe näher. Ihr „Bubi“ hat sich in mittlerweile auch wieder beruhigt und schnuppert unnachgiebig an meinem Leckerchenbeutel. Ich schiebe ihn sanft weg, ohne Erfolg. „Na Rockylein, gibt es da was Gutes zu essen?“ flötet Frauchen. Ich schaue sie kritisch an und überlege etwas zu sagen. Hasso schüttelt den Kopf, nein, das bringt vermutlich nichts ihr erklären zu wollen, dass ihr Rockylein eben nicht nur Hallo sagen wollte. Ich lächle gezwungen und probiere es trotzdem: „Guten Morgen. Es wäre schön, wenn sie das nächste Mal ihren Hund anleinen würden. Nicht jeder Hund mag Kontakte mir fremden Hunden.“ Rockys Frauchen schaut mich entgeistert an „aber das ist doch keine Hundeleben, wenn sie keinen Kontakt zu Artgenossen haben dürfen.“. War ja klar. „Naja, es gibt eben auch Hunde, die mögen keine anderen Hunde, oder sie sind alt oder krank oder haben einfach schlechte Erfahrungen gemacht.“ Versuche ich es weiter. Heute habe ich meinen guten Tag. Rocky hat sich derweil den Spuren am Wegesrand zugewendet und schnuppert sich langsam aber sicher von Dannen. Sein Frauchen schüttelt verständnislos den Kopf. „Meiner tut doch nix.“ Wiederholt sie nochmals, bevor sie ebenfalls ihrem Hund folgt. Hasso schaut mich an. Ja ich weiß, war vorher klar.
So oder so ähnliche Begegnungen kennt fast jeder Hundehalter, der nicht nur mitten in der Pampa unterwegs ist und dort keine Menschenseele trifft. Oft passiert bei diesen Begegnungen nicht viel und der fremde Hund ist in den meisten Fällen tatsächlich auch keine reißende Bestie. Trotzdem ärgerlich. Denn in den seltensten Fällen will er wirklich spielen oder Hallo sagen. Warum sollte er das auch tun wollen? Spielen tut man mit Hunden, die man kennt und mag in einer entspannten Situation – nicht mit dem wildfremden Hund, den man gerade am Horizont erblickt hat. Ja, oft sehen die Begegnungen dann wie Spiel aus, aber in der Regel handelt es sich hierbei lediglich um den Versuch einem Konflikt zu entgehen und deswegen böse Mine zu gutem Spiel zu machen. Bislang habe ich noch nie ein richtiges und entspanntes Spiel zwischen zwei erwachsenen fremden Hunden gesehen – und ich habe schon einige Zusammentreffen mehr oder weniger fremder Hunde beobachten können. Der zweite Aspekt, nämlich das „Hallo- sagen“ ist doch meist sehr vermenschlicht, trifft aber in ungeahnter Weise eher den Kern der Sache. Dabei sollten wir aber nicht an unser menschliches der Freundlichkeit geschuldetes „Hallo“ denken. Vielmehr geht es darum, abzuchecken, wer mein Gegenüber ist. Konkurrent oder möglicher Sexualpartner? Jemand der mir mein Revier streitig macht? Ein Hund von welchem eine Gefahr oder potentielle Bedrohung ausgeht? Aber nicht nur das, sondern auch die Klarstellung der Verhältnisse spielt eine nicht ganz unerhebliche Rolle. Ich spreche mit Absicht nicht von Rangordnung, denn die bildet ein Rudel und nicht fremde Hunde, die sich zufällig mal treffen. Aber auch in einem zufälligen Treffen geht es um das Verhältnis zueinander: Will das Gegenüber Stress haben oder ordnet es sich unter? Kann ich den fremden Hund begrenzen und ihm klar machen, dass ich der Chef hier bin oder sollte ich lieber kleine Brötchen backen? Laufe ich schnell hin und zeige ihm, wie klein und freundlich ich bin, damit er mir bloß nichts tut? Alle diese Faktoren können bei Begegnungen fremder Hunde eine Rolle spielen. Doch letztendlich sollte die Motivation meines Hundes zu anderen zu laufen eine untergeordnete Rolle spielen, denn egal was mein Hund im Schilde führt, ich weiß nie was mit meinem Gegenüber so los ist. Ist der Hund ängstlich? Hat er Schmerzen? Ist er im Training? Ist er krank? Oder mag er einfach keine fremden Hunde? Selbst wenn mein Hund freundlich ist, trifft das nicht zwingend auf den anderen Hund zu. Dazu kommen noch weitere Faktoren: Warum lasse ich meinen Hund frei laufen, wenn er nicht gehorcht und abrufbar ist? Warum sichere ich diesen Hund nicht? Viele Hunde haben gelernt, dass wenn sie einen anderen Hund treffen, man sich nicht beherrschen muss und dorthin rennen kann. Was ist aber wenn eine dicht befahrene Straße dazwischen liegt? Oder sogar Bahngleise, auf denen regelmäßig ein Zug fährt? Was wenn Rocky über eine Straße gerannt wäre und dabei einen Unfall verursacht hätte, bei dem Jemand zu Schaden gekommen wäre? Ja ich weiß, sehr hypothetisch. Aber das könnte alles passieren.
Aber, und das finde ich, ist der wichtigste Punkt, ich sollte in der Lage sein, meinen Hund so zu führen, dass ich keinen anderen Menschen oder Hund belästige oder störe. Das hat vielleicht auch etwas mit den oben genannten Punkten zu tun, vielmehr aber mit Respekt und gegenseitiger Rücksichtnahme. Ich als Mensch (und wegen mir auch der Hund) habe ein Recht darauf mich frei zu entfalten und in der Natur zu bewegen. Allerdings endet dieses Recht auf freie Entfaltung, wenn ich dadurch andere Menschen in ihrem Recht einschränke. Das findet wir sogar in unserem Grundgesetzt Artikel 2 Absatz 1 zu lesen. Ein Mensch, der keinen Kontakt zu fremden Hunden haben möchte, wird demnach in seinem Recht beschnitten, wenn ich meinen freien Hund trotzdem dorthin laufen lassen. Ganz plakativ.
Faktisch bedeutet es „leben und leben lassen“. Ich sollte mich mit meinem Hund so in der Öffentlichkeit bewegen können, dass kein Anderer dadurch gestört oder beeinträchtig wird. Und wenn ich dazu meinen Hund ran rufe und anleine, damit er nicht zu anderen Hunden läuft, gehört dies eben dazu. Ich laufe ja auch nicht zu wildfremden Menschen und umarme sie einfach, weil mir gerade danach ist. Warum sollte mein Hund dies also im übertragenen Sinne machen dürfen?
Das erschließt sich mir bis heute nicht.
Also, egal wie euer eigener Hund so drauf ist, wenn ihr ihn mit einem anderen Hund laufen lassen wollt, bitte trotzdem zuerst anleinen und dann mit dem Besitzer des anderen Hundes sprechen, ob dieser das auch möchte. Wenn ja, ist doch alles gut, wenn nicht, bitte akzeptieren. Ich sollte und darf auf gar keinen Fall meinen Willen oder den Willen meines Hundes über den anderer Mitmenschen stellen. Und faktische tue ich damit nichts anderes. Und egal ob ich die Gründe meines Gegenübers verstehe oder nicht, ich habe sie zu akzeptieren. Das verstehe ich nämlich unter Rücksichtnahme und Toleranz. Die meisten Menschen werden es euch danken – die meisten Hunde übrigens auch.